Er lässt unsere Gelenke nahezu reibungslos gleiten und federt mühelos ein Vielfaches unseres Körpergewichts ab. Doch wird der Stress für ihn zu groß, nimmt unser Knorpel Schaden – und Arthrose droht
Wer auch immer unseren Gelenkknorpel erfunden haben mag – es muss ein schlampiges Genie gewesen sein. Ein Minimalist, der aus reichlich Wasser, etwas Eiweiß, Kohlenhydraten und Mineralstoffen eine Substanz mit herausragenden Qualitäten schuf. So widerstandsfähig, dass sie bis zu 400 Kilogramm pro Quadratzentimeter abfedert; und so geschmeidig, dass sie bei jeder Bewegung nahezu reibungslos aufeinandergleitet, besser als zum Beispiel Stahl auf Stahl oder Teflon auf Stahl. Keinem Menschen ist es bisher gelungen, einen industriellen Werkstoff mit ähnlich guten Eigenschaften herzustellen. Leider. Denn bei der Konstruktion unseres hyalinen Knorpels, wie der Gelenkknorpel in der Fachsprache heißt, hat sein Erfinder eine entscheidende Schwäche übersehen.
Am Anfang unseres Daseins, noch im Mutterleib, besteht unser Skelett nur aus Knorpel. Erst im Laufe der Schwangerschaft und nach der Geburt bilden sich daraus allmählich harte Knochen. „Bei diesem Prozess starten die Knorpelzellen ein Programm, das ihren Tod einleitet und gleichzeitig Blutgefäße anlockt, die in das Knorpelgewebe hineinwachsen“, sagt Thomas Pap, Direktor des Instituts für Experimentelle Muskuloskelettale Medizin der Universität Münster. „Anschließend kommen über die Blutgefäße Knochenvorläuferzellen in das Gewebe und verknöchem es von innen heraus. Dieser Prozess beginnt in der Mitte des Knochens und setzt sich in Richtung der Enden fort, bis nur noch diese von hyalinem Knorpel bedeckt sind und eine weiche Fuge bleibt, aus der heraus der Knochen in den ersten zwei Jahrzehnten des Lebens wächst.” Auf diese Weise entstehen zum Beispiel nach und nach die langen Röhrenknochen in Armen und Beinen.
Das verbliebene hyaline Knorpelgewebe auf den Knochenenden schützt diese davor, unter Belastung aufeinanderzustoßen oder zu reiben. An den Fingergelenken ist es gerade einmal rund einen Millimeter dick, auf der stark beanspruchten Rückseite der Kniescheibe dagegen sieben bis acht Millimeter. Seine Elastizität und Widerstandsfähigkeit verdankt der Gelenkknorpel vor allem der sogenannten Matrix, einem Gerüst aus Kollagenfasern und Proteoglykanen. Die wie Arkadenbögen angeordneten Kollagenfasem federn Stöße ab; die Proteoglykane binden Wasser, das die Steifigkeit des Gewebes erhöht, also die Fähigkeit, einer Verformung standzuhalten. Dazwischen verteilt liegen vereinzelte Knorpelzellen, Chondrozyten genannt, die unter anderem die Matrix herstellen und reparieren.
Anders als andere Zellen im Körper werden Chondrozyten kaum durch Blutgefäße ernährt, sondern fast ausschließlich über Gelenkflüssigkeit. „Diese gelangt aber nur ins Gewebe, wenn wir uns bewegen”, sagt Jean-Jacques Glaesener, Chefarzt im Zentrum für Rehabilitationsmedizin am Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus Hamburg. „Durch das regelmäßige Pumpen und Entlasten während der Bewegung wird der Knorpel mit Flüssigkeit benetzt und so mit wichtigen Nährstoffen wie zum Beispiel Zucker versorgt. Dadurch nimmt der Proteoglykangehalt zu, der Knorpel wird dicker und widerstandsfähiger. Bewegen wir ein Gelenk dagegen länger nicht oder nur selten, wird das Gewebe schlecht versorgt und dadurch dünner und anfälliger.” Im schlimmsten Fall ersetzt der Körper das Gewebe schließlich durch Knochensubstanz.