Im Laufe des Lebens verändert sich die Zusammensetzung des hyalinen Knorpelgewebes. Die Zahl der Chondrozyten nimmt im Alter ab, der Wassergehalt sinkt, die Kollagenbögen werden dicker und dadurch inflexibler. Die Folge: Das Gewebe ist nicht mehr so elastisch und belastbar wie in jungen Jahren. Sind der Niedergang des Knorpels und damit verbundene Gelenkbeschwerden deshalb ein unabwendbares Schicksal für uns? „Nein”, sagt der rnünstersche Experimentalmediziner Thomas Pap. „Auch in späten Jahren kann unser Knorpel noch relativ intakt sein und gut funktionieren. Die Halbwertszeit der Kollagene liegt bei über 100 Jahren.“
Wie gut unser Gelenkknorpel in Schuss bleibt, hängt nicht nur davon ab, wie regelmäßig wir ihm Bewegung gönnen, sondern auch davon, wie stark er übermäßiger Belastung ausgesetzt wird. Während sich jüngere Menschen meist eher einzelne, überschaubare Knorpelschäden, zum Beispiel durch eine unglückliche Drehung beim Sport, zuziehen, steigt im Alter das Risiko von größerer, krankhafter Gewebedegeneration, der Arthrose. Mittlerweile ist nahezu die Hälfte der über 65-jährigen Deutschen davon betroffen. Meist in Knie und Hüfte, häufig aber auch in den Fingern.

Mediziner sprechen im Zusammenhang mit Arthrose oft von Abnutzung – und lösen damit bei Patienten Missverständnisse über die Ursache der Krankheit aus. „Viele Menschen denken, dass Knorpel von oben abgerieben wird, wenn man viel darauf herumläuft”, sagt Pap. „Doch das ist Unsinn. Das Gewebe nutzt sich nicht ab wie ein Autoreifen, dessen Profil immer dünner wird.” Stattdessen reaktiviert zu viel Stress das frühkindliche Verknöcherungsprogramm in den Knorpelzellen, das lange abgeschlossen schien. „Dann produzieren sie Enzyme, die das Gewebe von innen heraus aufweichen. Anschließend sterben die Chondrozyten den programmierten Zelltod, der Knorpel wird abgebaut, und an den Rändern wird vermehrt Knochensubstanz gebildet. Natürlich ist der Knorpel im aufgeweichten Zustand auch anfälliger für den Abrieb von oben, doch der Prozess wird im Inneren gestartet.” Und dann folgt ein Teufelskreis aus Aufweichen, Abrieb, erneuten Entzündungen und weiterer Schädigung, bis die Knorpelschicht schließlich ganz abgetragen ist und der Knochen blank liegt. Und dieser reibt bei jeder Bewegung ungeschützt auf dem Gegenpart auf der anderen Seite des Gelenks, Betroffene klagen dann oft über Schmerzen und Versteifungen.

Der Auslöser des Teufelskreises, das Stressereignis, kann vielfältiger Art sein: eine Knorpelverletzung durch einen Unfall, eine Gelenkentzündung oder aber auch ständige kleine Mikrotraumata, wie sie Leistungssportler oft durch hohe Dauerbeanspruchung in Training und Wettkampf erleiden. „Wie und warum aber solche Reize das zerstörerische Programm in Gang setzen, ist noch unklar”, sagt Pap. „Vermutlich passiert das nicht immer nach demselben Schema, sondern auf vielen Verschiedenen Wegen. Und nach heutigem Wissen ist der Prozess dann von einem bestimmten Zeitpunkt an nicht mehr aufzuhalten.”

Die größte Schwäche des nur beinahe genial konstruierten Knorpelgewebes ist seine begrenzte Regenerationsfähigkeit. Zwar ist es ein Irrtum, dass diese im Erwachsenenalter völlig verloren geht; doch reicht sie allenfalls, um kleinere Defekte in der Matrix zu flicken. Mit der Heilkraft des Knochengewebes, das ganze Brüche zuverlässig repariert, können die Knorpelzellen nicht mithalten. Und wenn zum Beispiel nach einem Unfall so große Stücke herausgebrochen werden, dass es aus dem Knochen in das Knorpelgewebe blutet, bilden die einfließenden Stammzellen allenfalls Narbengewebe. „Das ist längst nicht so belastbar und geschmeidig wie der ursprüngliche hyaline Knorpel”, sagt Jörg Lützner, Oberarzt an der Orthopädischen Klinik des Universitätsklinikums Dresden.

In seinem Krankenhausalltag operiert Lützner häufig lädierte Gelenkknorpel, die so stark geschädigt sind, dass sie vom Körper nicht mehr repariert werden können, vor allem am Knie. Dabei stehen den Medizinern verschiedene Behandlungsmethoden zur Verfügung. „Bei kleinen Schäden setzen wir gewöhnlich die Mikrofrakturierung ein”, sagt der Orthopäde. „Dabei werden in den freiliegenden Knochen an der defekten Knorpelstelle kleine Löcher gestanzt, wodurch später Stammzellen mit dem Blut zum Defektgelangen und diesen mit faserknorpelartigem Gewebe ausfüllen.” So ist die Delle beseitigt, das Gelenk beweglicher und der Knochen wieder eine Zeit lang geschützt – allerdings laut Studien im Durchschnitt nicht länger als zwei Jahre. Danach treten die Beschwerden wieder auf.
Bessere mittelfristige Ergebnisse – immerhin durchschnittlich sieben Jahre lang weniger Schmerzen und größere Beweglichkeit des Knies – attestieren Untersuchungen der sogenannten Autologen Knorpel-Knochen-Transplantation. Dabei entnimmt der Arzt zunächst dübelartige Zylinder aus Knorpel-Knochen-Material aus wenig belasteten Gebieten des Gelenks und setzt sie im beschädigten Bereich ein. „Weil Knochen gewöhnlich perfekt heilt, wird der Dübel mit großer Wahrscheinlichkeit gut einwachsen”, sagt Lützner. So lässt sich im Gegensatz zu allen anderen Methoden ein Defekt mit hyalinem Knorpel decken. Doch dieser fehlt an anderer Stelle, und dort entsteht dann Faserknorpel. „Das ist etwa so, als zöge man bei einem Essen eine zu kleine Tischdecke dorthin, wo die wichtigsten Gäste sitzen.”

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